Der Besuch des 9. Khamtrül Rinpoche und zwei seiner Tokdens in Hart am Chiemsee

S.E. der 9. Khamtrül Rinpoche

Eine Rückschau auf das Mahamudra-Seminar (25.-31.5.2015)

Nach einer wunderbaren Woche mit Drubwang Tsoknyi Rinpoche – Einführung in die Natur des Geistes – wird der Seminarraum neu geschmückt: Ein höherer Thron wird nach vorne geschoben, die Sitzgelegenheiten auf der Bühne werden bereit gestellt und mit Brokat geschmückt, die Thangkas umgehängt. Zum Schluss wird ein roter Teppich ausgerollt, der Saal für 180 Personen mit Kissen und Stühlen ausgestattet. Ein Helferteam von sechs, sieben Leuten arbeitet einen ganzen Nachmittag. Denn bald ist es soweit.

Mit großer Freude und auch ein wenig aufgeregt erwarten etwa 30 Schülerinnen und Schüler von Tsoknyi Rinpoche die Gäste am Münchner Flughafen. Einige haben Blumensträuße mitgebracht, andere tragen Körbe mit Rosenblättern in ihren Händen und die Khatas sind allseits gezückt. Stehen wir auch beim richtigen Ausgang? Wo ist eigentlich der Presidente? Und was ist mit Rinpoche – er wird doch hoffentlich nicht im Stau stecken? Die Stimmen wirbeln durcheinander. Dann sind endlich alle da, es wird ein Spalier gebildet und diejenigen, die fotografieren sollen, haben sich gegenüber der Glastür, aus der die Gäste kommen werden, platziert. Einige Fluggäste, die vorüber eilen, schauen erst überrascht und etwas neugierig, dann aber lächelnd auf unsere Gruppe. Tsoknyi Rinpoche steht die Freude im Gesicht, doch er ist gelassen wie immer.

Als Gyalwa Dokhampa Khamtrül Rinpoche in die Halle tritt, wird die Stimmung mit einem Mal ganz ruhig. Hände falten sich wie von selbst, die Rücken neigen sich nach vorne, die Gesichter blicken alle in eine Richtung, fast ein wenig gerührt. Mit großer Einfachheit geht Khamtrül Rinpoche an uns vorbei und begrüßt jeden einzelnen mit einem Lächeln oder Nicken. Hinter ihm die hohe Gestalt von Tokden Achö, er geht langsam und wird ein wenig gestützt – sein Gesicht wie eine aufgehende Sonne. Tokden Tutop Nyima blickt gut gelaunt in die Runde und legt da und dort jemandem die Khata um den Hals.

Tokden Achö

Was folgt, ist eine Woche mit außergewöhnlichen Belehrungen von Khamtrül Rinpoche, Tsoknyi Rinpoche und Tokden Achö. Vormittags erläutert Khamtrül Rinpoche auf Tibetisch Vers für Vers die Ganges-Mahamudra, eine Kernunterweisung des ehrwürdigen Tilopa an Naropa – er liest vor, ergänzt, setzt das eine mit dem anderen in Beziehung und reichert den Text durch Hinweise auf Hintergrund und Kontext an: alles in einem schlichten, aber glasklaren Fluss, in einer einfachen Sprache ­ – wie immer brilliant übersetzt von Andreas Kretschmar. Khamtrül Rinpoche gibt sich zurückhaltend, seine Belehrungen aber sind kraftvoll und direkt, komplex und dabei verständlich. Sein Wesen strahlt Bescheidenheit und Würde aus – sein anfänglicher Ernst weicht mehr und mehr einer humorvollen Ernsthaftigkeit. Während der Belehrungen sitzen beide Tokdens seitlich vom Thron, sie sitzen nicht nur – sie ‚sitzen‘.

Tsoknyi Rinpoche

Auch die Nachmittags-Meditation ist etwas Besonderes: Sie wird die Woche hindurch von Fred von Allmen, dem bekannten Vipassana-Lehrer vom schweizerischen Meditationszentrum Beatenberg, geleitet. Danach verbringen wir zwei bis drei Stunden mit Tsoknyi Rinpoche, der uns die Möglichkeit gibt, Fragen zu stellen. Geduldig beantwortet er Frage für Frage, nicht ohne wie üblich mit viel Humor unsere Konzepte zu zerstreuen. Mit bewundernswerter Ausdauer erklärt er immer wieder, was er schon oft erklärt hat, kommt auf die Grundlagen zurück und zeigt uns, wie wir das Gehörte ganz konkret anwenden können. Und Rinpoche demonstriert einmal mehr so fabelhaft, wie wir zwischen Handschüttelpraxis (dem akzeptierenden, ja liebevollen Umgang mit unseren „monsters“) und Shamata ohne Stütze hin und her wechseln können, wie wir mit uns selbst spielerisch umgehen und dabei die höchsten Lehren – ganz flexibel – in Praxis umsetzen können. Rinpoches Demonstrationen erhellen, was mit Sprache nicht vermittelt werden kann.

Abends dann haben wir die kostbare Gelegenheit, mit dem ehrwürdigen Tokden Achö (er ist 84 Jahre alt) Zeit zu verbringen, wobei Andreas Kretschmar nicht nur übersetzt, sondern Tokden Achö auch so charmant wie nur einer umwirbt, auf dass er erstens mit uns sitzen und zweitens uns ‚Geschichten‘ erzählen möge. Achö tut beides, er stellt sich als Meditationsobjekt zur Verfügung, was unbeschreiblich ist, und er erzählt uns – auf seine Weise und mit einigen speziellen Akzenten – das Leben von Milarepa. Ein Abend ist der Erläuterung des Guru Yoga gewidmet, Achös Hingabe strahlt als Herzensqualität weit über seine Worte hinaus. Diese Abendstunden werden unvergesslich bleiben, denn Tokden Achö wirkt in erster Linie durch seine Ausstrahlung, er ist ein Mensch, der sein ganzes Leben lang meditiert hat, der noch im alten Tibet mit dem 8. Khamtrül Rinpoche gelebt und dort viele Jahre in Klausur verbracht hat, bis er schließlich wie viele andere Mönche und Lamas fliehen musste. Er war am Aufbau von Tashi Jong (Nordindien) wesentlich beteiligt und hat schließlich die Wiedergeburt des 8. Khamtrül Rinpoche, also den 9. Khamtrül Rinpoche  aufwachsen gesehen, hat ihn gelehrt und ihm gedient. Heute begleiten er und der etwa 50 Jahre alte Tutop Nyima den 9. Khamtrül Rinpoche auf seinen Belehrungs-Reisen.

Tokden Tutop Nyima

Beide Seminarwochen 2015 waren wunderbar, die zweite Woche war aber zweifelsohne ein Höhepunkt für Pundarika und Tsoknyi Rinpoches Schülerinnen und Schüler. Wir sind Rinpoche überaus dankbar dafür, dass er die Reinkarnation seines Wurzellehrers in den Westen eingeladen hat! Mögen die vielen Menschen, die (in Frankreich, England, Argentinien, Deutschland etc.) mit ihm und den beiden Tokdens in Kontakt getreten sind, für ihr ganzes Leben von dieser Begegnung profitieren!

Eine Schülerin aus Österreich