Reiner Slapstick schien es mir zu sein, als ich vor drei Jahren zum ersten Mal live erlebt habe, wie Tsoknyi Rinpoche den Umgang mit aufgewühlten Emotionen pantomimisch ins Bild bringt. Da kämpft der in traditionelle tibetische Roben gehüllte, auf seinem Thron sitzende Meister verzweifelt mit seiner linken Hand, die in jähen Konvulsionen immer wieder aufs neue anfängt zu zappeln und um sich schlagen, als wäre es ein Frettchen auf Ecstasy.
Als ich diese Darbietung dieses Jahr bei meinem insgesamt dritten Retreat bei Tsoknyi Rinpoche wiederholt mitverfolgte, wurde mir immer klarer, dass es noch so viel mehr ist als professioneller Slapstick. Es ist auch nicht nur unterhaltsame Ausschmückung der sonst vielleicht zu trockenen Unterweisungen, nein: Dieses Mal ging mir auf, dass diese Pantomime genau die innere Dynamik abbildet, mit der wir wohl alle bestens vertraut sind. Wie ich mir immer wieder selbst im Weg stehe, indem ich wieder und wieder mit wechselnden Methoden der „Meditation“ versuche, meine verletzten Emotionen, komplexen Denk- und Gefühlsmuster auszutricksen, einzulullen, zu betäuben oder zu ignorieren, wird mir in Rinpoches Dharma-Pantomime mit entwaffnender Klarheit vor Augen geführt. Auch wie sich verletzte Emotionen nach und nach beruhigen können, wenn es mir „nur“ gelingt, mich ihnen in der „Handshake-Praxis“ wohlwollend und absichtslos zuzuwenden, bringt Rinpoche ins Bild, und das sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Ich erlebe das in meiner momentanen Lebenssituation als unglaublich hilfreich, denn solch lebendige Bilder schwingen auf dem Kissen und im Alltag in mir nach, und irgendwie ist es ein bisschen so, als würde mich Rinpoche in meinen Meditationssitzungen in beruhigender Weise bei der Hand nehmen, mir zeigen, wie ich mitten in den tobenden Wellen meiner Seele mein absolut verlässliches Zuhause wiederfinden kann.
Rinpoche segnete unsere Dharma-Objekte
Vorbereitungstreffen auf die Zufluchts-Zeremonie
Rinpoches Unterweisungen sind völlig durchdrungen von seinem größten Herzensanliegen, den Weg des Dharma für seine Schüler zugänglich, verstehbar und gangbar zu machen. Wie wichtig ihm das ist, zeigt sich unter anderem darin, wie oft er seine Schüler dazu auffordert, ihre Gedanken zu einem Thema mitzuteilen oder – was ihm noch wichtiger ist – das Ergebnis einer Innenschau mit allen Anwesenden zu teilen, also mehr ein Nach-innen-Spüren ist als ein Nachdenken. Rinpoche versteht sehr gut, wie wir Westler „ticken“ und er bemüht sich weiterhin beharrlich darum, es noch besser zu verstehen, um schließlich jedem und jeder das geben zu können, was er oder sie braucht.
Ordnen und Arrangieren im Pundarika-Shop
Der Pundarika-Shop arbeitet…
… zugunsten von Rinpoches Nonnen-Projekten
Um diese Botschaft auch auf der sprachlichen Ebene jenseits von Rinpoches zwar sehr guten, aber nicht perfekten Englischkenntnissen möglichst unverfälscht bei uns ankommen zu lassen, ist der Beitrag von Andreas unverzichtbar, dem liebenswürdigen, fließend tibetisch sprechenden Kölner, dessen Physiognomie jeden „Tim und Struppi“-Fan unvermeidbar an einen gewissen Rastapopoulos erinnern wird. Andreas trägt entscheidend dazu bei, dass Rinpoches Belehrungen genau so „juicy“ bei uns ankommen, wie es vom Meister beabsichtigt ist. Bei drei bis vier Stunden Vortrag täglich wurde es mir wirklich nie langweilig, und ich bin auch nur selten gedanklich abgeschweift. Andreas’ offene Weigerung, die englischen Teile der Belehrungen allzu wörtlich zu übersetzen, wirkt auf manche irritierend. Ich persönlich aber finde ihn auch in diesem Punkt sehr überzeugend. Wenn es darum geht, die Kernpunkte der Lehre zu übersetzen, ist Andreas nämlich sehr sorgfältig und genau; seine immense Fähigkeit, sprachliche Spitzfindigkeiten im tibetischen Dialog mit Rinpoche heraus zu kitzeln, ist unersetzbar. Für mich persönlich ist dieser auch Geduld fordernde Weg, dieser dialogische Prozess, sehr inspirierend. An Stellen wiederum, an denen es nur darum geht, ein nettes Beispiel oder eine Ausschmückung zu finden, ist Andreas liebenswürdig locker, flicht den einen oder anderen eigenen Kalauer ein und bringt damit auch gerne mal – merkwürdigerweise überwiegend weibliche – Zuhörende auf die Palme. Auch das: Slapstick and more!
Mala-Täschchen…
… und „Erleuchtungssättel“
Der Rahmen des Retreats ist klassisch tibetisch. Dass Schweigen offiziell angesagt ist, beruht auf Rinpoches Wunsch, wird aber nicht sonderlich konsequent verfolgt. Wer das konsequente und in der Gruppe einvernehmliche Schweigen eines Vipassana- oder Zen-Retreats und dessen günstige Wirkung auf die mehrtägige meditative Innenschau kennen und lieben gelernt hat, wird möglicherweise enttäuscht oder irritiert sein. Für mich bedeutet es auch immer eine finanzielle Herausforderung, dass das Retreat in einem Seminarhaus mit Hotelniveau in einer der teuersten Gegenden Deutschlands stattfindet. Da Dinge auf der relativen Ebene nie besonders beständig sind, kann sich aber auch das irgendwann ändern.
Ein Praktizierender aus Deutschland
Noch liegen sie zusammengerollt, aber bald werden sie im Wind flattern: Gebetsfahnen