Was ist notwendig, um das Herz wirklich für die Liebe zu öffnen?

„What does it take to really open the Heart to Love?“

Was ist konventionelle Liebe? Was ist essentielle Liebe? Was ist grenzenlose Liebe? Was ist notwendig, um das Herz wirklich der Liebe gegenüber zu öffnen?
So viele Fragen... lasst uns daher auf diese hier konzentrieren: Was ist essentielle Liebe? Es ist das Bestreben, dass alle Wesen, uns selbst eingeschlossen, Glück und die Ursachen von Glück finden mögen. Hier ist nicht gewöhnliches Glücksempfinden gemeint, das sich auf so unverlässliche Dinge wie Gesundheit, Wohlstand, ein schönes Erscheinungsbild, eine gute Ausbildung, einen tollen Urlaub oder einen tollen Job, geliebt zu werden, angesehen zu werden oder irgend einen anderen gewöhnlichen Umstand, von dem wir hoffen, dass er Glück bringt, stützt.

Essentielle Liebe, grundlegende Liebe ist die Erfahrung von Wohlbefinden. Somit beginnen wir damit, eine Erfahrung des Wohlbefindens zu finden, die nicht von Ursachen oder Bedingungen abhängig ist. Wir müssen diesen Zustand des Wohlbefindens in unserem physischen Körper, unserem subtilen Körper, unserem Geist und unserer Wahrnehmung wirklich fühlen. Es muss sich in unserem gesamten Leben bemerkbar machen. Es ist keine Form von romantischer Verwirrung oder sentimentaler Anhaftung gemeint; es ist einfach das bloße Gefühl des Wohlbefindens, ein unkonditioniertes Glücksgefühl, das sich auf ganz natürliche Weise in uns ausbreitet. Sobald wir in der Lage sind zu erkennen, wie sich das anfühlt, kann der Same, der allen Wesen Glück wünscht, die Nahrung bekommen, die er zum Wachsen braucht. Das Herz des Mitgefühls fängt an, durch dieses Mitgefühl zu erwachen.

Aber was verhindert in der heutigen Welt, dass dies auf einfache Weise geschehen kann? Vielleicht sind es die Umstände, die unser komplexes Leben mit sich bringt, die unserem physischen Körper häufig Störungen zufügen und ihn Situationen voller Hoffnung und Angst unterwerfen. Es ist schwer unter solchen Umständen ganz offen und gegenwärtig zu bleiben.

Wenn jedoch Kinder geboren werden, die keinem starken Karma oder einer genetischen Disposition unterliegen, sind diese normalerweise äußerst gesund, sehr aufgeschlossen und immer ganz in der Gegenwart verweilend. Der subtile Körper fühlt sich wohl und funktioniert auf richtige Weise. Wenn man sich um ein Kind mit vollkommener, bedingungsloser Liebe kümmert, dann verankert sich ein inneres Wohlbefinden und wächst zu Selbstliebe und der Fähigkeit zu lieben heran. Das Kind empfindet dieses Wohlbefinden nicht als irgendetwas Besonderes, weil es das auch nicht ist. Ihr Wohlbefinden hängt nicht davon ab, was sie gerade tun oder nicht tun. Ihre Liebenswürdigkeit und ihre Fähigkeit zu lieben stellt sich (für sie) niemals in Frage. Sie können mit den natürlichen Beschränkungen, die das Heranwachsen mit sich bringt, gut umgehen, und sie nutzen die Herausforderungen des Erwachsenwerdens - die Belohnungen und Enttäuschungen der Schulzeit, der Gesundheit und der Beziehungen – um widerstandsfähige und verantwortungsvolle erwachsene Menschen zu werden.

Wie dem auch sei, bei den meisten Menschen läuft irgendetwas ein wenig schief mit dieser Offenheit, der zugrunde liegenden Liebe und dem Wohlbefinden. Vielleicht können ihre Eltern nicht bedingungslos lieben, oder vielleicht machen sie Erfahrungen voller Hoffnungen und Angst, vor allem Angst. Wenn Kinder heran wachsen, wird all dies in der Selbst-Wahrnehmung des sich entwickelnden Ego und in der daraus resultierenden emotionalen Reaktion manifestiert. Schon bald fließen die Energien des subtilen Körpers zu Zeitpunkten und an Orten, wo sie dies nicht tun sollten. Manchmal werden die Energien blockiert und manchmal bewegen sie sich in die falsche Richtung und beginnen dabei, den physischen Körper zu beschleunigen. Die Symptome der Störungen im subtilen Körper können sich sehr stark im physischen Körper manifestieren, jedoch würde eine rein physisch ausgerichtete Behandlung hier kaum helfen. Wir probieren dann alle möglichen Dinge aus, um uns Linderung zu verschaffen, aber nichts hilft auf Dauer wirklich oder rührt an der eigentlichen Wurzel des Problems.

Es scheint, dass viele Probleme der heutigen Zeit mit dieser nervösen Unruhe zu tun haben, Probleme, die uns davon abhalten, den Puls der zugrunde liegenden Liebe zu fühlen. Wenn ihr Euch jetzt mal auf Euer eigenes Herz konzentriert, könnt ihr wirklich behaupten, dass es offen und ausgeglichen ist? Schaut mal genau hin und spürt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere Herzen nicht in der Lage sind, dauerhaft offen zu bleiben, weil wir nicht dieses zugrunde liegende Wohlbefinden spüren.

Was können wir tun, um unseren Herzen zu helfen, sich dieser ursprünglichen Liebe zu öffnen? Es scheint mir, dass die vier Anwendungen von Achtsamkeit in diesem Zusammenhang ein starkes Werkzeug darstellen. Durch sie können wir unseren Geist zu mehr Ausgeglichenheit und Ruhe führen. Nur dann können wir uns wirklich weiter helfen. Die vier Achtsamkeiten sind Formen der Shamata-Praxis, die dem Geist zur Ruhe verhelfen und unser Bewusstsein fokussieren und stärken. Sie werden auf körperlicher, gefühlsmäßiger, geistiger und meditativer Ebene angewendet. Von den genannten vier Methoden ist die Achtsamkeit des meditativen Zustandes die wichtigste für unsere Zwecke. Durch diese Praxis kann unser Geist einen Zustand von Ruhe, Ausgeglichenheit und Offenheit erlangen, innerhalb dessen die Erfahrung von Wohlbefinden und ursprünglicher Liebe gemacht werden kann. Jedoch hängt eine gut ausgebildete Achtsamkeit auf meditativer Ebene von den anderen drei Anwendungen von Achtsamkeit ab, lasst uns diese also genauer betrachten.

In dieser (Dzogchen-) Tradition bedeutet Achtsamkeit des Körpers, dass unser Geist einfach innerhalb des Körpers zum Ruhen kommt mit der Einsicht, dass Körper und Geist nicht trennbar von einander sind. Mit dem Ausruhen entsteht ein Bewusstsein, das die Vorgänge im Körper einfach wahr nimmt, ohne irgend etwas ändern zu müssen. Sobald wir fähig sind, dem Körper einfach nur nach zu spüren, ohne in Gedanken über Zukunft und Vergangenheit abzuschweifen, kann der Geist ganz und gar im gegenwärtigen Augenblick ruhen, ohne sich dabei von Gedanken und Gefühlen wie Hoffnung und Angst ablenken zu lassen. Man sagt, dass der Körper auf dem Meditationskissen ruht und der Geist auf dem Körper. Mit dieser Voraussetzung kann man sich der Achtsamkeit auf emotionaler Ebene zuwenden.

Achtsamkeit auf der Empfindungsebene hängt mit dem Energiefluss im subtilen Körper zusammen. Wenn wir Achtsamkeit auf emotionaler Ebene praktizieren, arbeiten wir mit diesen Energien, die im Tibetischen als lung bezeichnet werden. Es ist sehr hilfreich, eine Praxis namens jam lung durch zu führen, was 'sanftes Atmen' bedeutet. Damit bringen wir die lung-Energien tiefer im Körper, so dass sie sich an ihrem natürlichen Platz unterhalb des Nabels befinden und Geist und Körper zur Ruhe kommen können. Das ist wie bei einer französischen Kaffeekanne, weil wir den Atem vorsichtig von der Spitze des Kopfes durch den Körper bis unterhalb des Nabels drücken, wobei wir die Energie beim Einatmen achtsam hinunter bewegen und sie behutsam unten halten ohne auszuatmen, bis wir wieder die Notwendigkeit zum nächsten Atemzyklus spüren. Indem man dies eine Zeitlang praktiziert, kann unruhiges, nervöses lung sich zu normalem lung umwandeln. Direkt im Anschluss an diese Meditation, während wir die Stimmung der Meditation zu halten versuchen, ist es ratsam, ungefähr 10% der Energie unterhalb des Nabels mit sanfter Muskelspannung zu halten, die wir oberhalb und unterhalb des lung-Ruheplatzes ansetzen. Diese Methode hilft dabei, die Energie insgesamt unten zu halten und ermöglicht uns, gut im Alltag zu funktionieren. Mit 10% der Energie unterhalb des Nabels können wir normal atmen, kann unser Geist normal arbeiten, können wir weiter kommen mit den Dingen, die uns gerade beschäftigen.

Die dritte Anwendung ist die Achtsamkeit des Geistes. Wir beobachten den Geist, indem wir einfach nur wahrnehmen, was auch immer gerade in unserem Geist passiert und es als solches anerkennen. Durch Achtsamkeit und Erkenntnis ist unsere Aufmerksamkeit vollkommen auf den Geist gerichtet und untersucht dessen Aktivität. Wo entsteht sie? Worauf richtet sie sich? Wo geht sie hin, wenn sie verschwindet?

Die Ruhe, die durch diese Achtsamkeits-Praktiken entsteht, entspricht dem Zustand von Shamatha, und auf dieser Basis wenden wir uns nun der Achtsamkeit der meditativen Ebene zu, der vierten Achtsamkeits-Praxis. Das wesentliche Merkmal der vierten Achtsamkeit ist die Einübung des Nicht-Anhaftens an jegliche physischen, sensorischen oder geistig-emotionalen Erscheinungen. Durch die Anwendung der vier Achtsamkeiten wird Harmonie zwischen Körper, Energiefluss, Bewusstsein und Gefühlen erzeugt. Diese Harmonie äußert sich als Entspannung im Körper und Ruhe im Geist. Es ist die Quelle von natürlichem Wohlbefinden, die Essenz von bedingungsloser Liebe, unbeeinflusst von den Vorlieben und Abneigungen des Egos.

Wenn wir erst einmal Wohlbefinden und bedingungslose Liebe erfahren haben, müssen wir die Essenz dieser Erfahrung nähren. Es macht keinen Sinn, diesen Schatz entdeckt zu haben, um ihn dann für uns allein zu bewahren. Wenn wir die Fähigkeit der Liebe, auf andere über zu springen, ignorieren, werden wir auf Dauer nur Enttäuschung finden. Das Wesen der Liebe ist wie ein wertvoller Same, dessen Aufgabe es ist, sich in grenzenlosem Mitgefühl, tiefer Freude und vollkommener Ausgeglichenheit zu entfalten und zu allen Wesen hin auszustrahlen. Zusammen genommen bilden grundlegende Liebe, grenzenloses Mitgefühl, tiefe Freude und vollkommene Ausgeglichenheit die 'Vier Unermesslichkeiten'.

Obwohl sie jeweils unabhängig voneinander erläutert werden, erscheinen sie jedoch erfahrungsgemäß immer in zusammenhängender Weise. Wenn wir Liebe erfahren, die ohne die bekannten Ursachen und Bedingungen entsteht, werden wir uns dem Leben zugewandt fühlen. Diese unterscheidet sich von der eingeschränkten und bedingten Liebe, auf die wir gelernt haben unser Leben aufzubauen. Genau genommen ist bedingte Liebe nicht mehr als eine eingeschränkte Version der im Herzen zu Grunde liegenden Liebe im Sinne des Egos. Aber das Ego kann niemals zufrieden sein, da es genau so wenig von Dauer und Bestand ist wie alle anderen Erscheinungen. Und auf diese Weise läuft bedingte Liebe, erfüllt von Anhaftung und Habgier, gegen ihre eigenen Beschränkungen und wird ganz unvermeidlich zu einer schmerzvollen und enttäuschenden Erfahrung. Sobald wir jedoch bedingungslose Liebe erfahren haben, wird der Unterschied zu dem, was normalerweise als Liebe bezeichnet wird, deutlich. Dann erkennen wir mit Sicherheit, wie sehr diejenigen, die von der Illusion dessen gefangen sind, was wir normalerweise als Liebe bezeichnen, immer noch von Leiden gequält werden. Dies kann unsere Herzen sehr traurig machen oder aber, wenn wir gefestigt sind in dem Wissen um die unbeständige Natur aller Dinge, ein tiefes Mitgefühl hervor rufen, das nicht auf eine bestimmte Person gerichtet ist, sondern allen Wesen zur Verfügung steht. Dieses bedingungslose und unvoreingenommene Mitgefühl wird vom Wunsch getragen, dass alle Wesen frei von Leiden und den Ursachen des Leidens sein mögen. Diese aufrichtige Unvoreingenommenheit anderen gegenüber ist der Ursprung von grenzenloser Liebe, tiefer Freude und vollkommener Gelassenheit.

Ursprüngliche, bedingungslose Liebe und alle Vier Unermesslichkeiten beginnen mit dem gleichen ersten Schritt – der Entwicklung und der Erfahrung von Wohlbefinden in uns selbst. Finde also jene Art des Wohlbefindens, die das Herz öffnet. Diese Liebe ist kein bloßer Gedanke, keine Laune, kein Gefühl. Es ist die Art von Liebe, die nicht in Habgier, Anhaftung oder Lust verfällt. Es ist ein Wohlbefinden, das jenseits dieser Extreme liegt. Dieses Wohlbefinden bewegt sich an der Oberfläche von Gedanken und Gefühlen, die entstehen mögen, aber diese Gedanken und Gefühle beeinflussen die Kontinuität des Wohlbefindens nicht. Indem wir auf diese Weise praktizieren, legen wir den Grundstein für Wohlbefinden, das Wesen der Liebe. Wann immer Du diese Erfahrung von Wohlbefinden machst, bleib damit solange es sich in dir hält. Wenn Gedanken und Gefühle auftauchen, heiße sie willkommen, aber ändere nicht die zugrunde liegende Strömung. Sobald sich Wohlbefinden einstellt und erhalten bleibt, ist es möglich, die lebendige und dynamische Energie aller Vier Unermesslichkeiten zu erfahren, die notwendig sind, um uns selbst und allen Wesen von Nutzen zu sein. Dies ist das Wesen der Liebe, der kostbaren Blüte unseres Herzens.

Quelle: pundarika.org > archive > June 2011

Übersetzung: kk